Kaut: Ja, wir waren auf einer Lesereise. Irgendwohin ins Norddeutsche. Kruse:
Wir dachten gerade über eine neue Figur nach. Kurze Zeit später
haben wir tatsächlich neue Figuren geschaffen. Du den Pumuckl
und ich das Urmel. SZ: Herr Kruse, was schätzen Sie an den
Werken der Autorin Ellis Kaut? Kruse: Ihren Witz, den Einfallsreichtum,
die zauberhafte Figur Pumuckl. Und das unverständlich große
Einfühlungsvermögen in die Seele kleiner Kinder. SZ:
Und Sie Frau Kaut, was schätzen Sie an Kruse? Kaut: Dass
er nicht alles so Ernst nimmt. Sich selbst am wenigsten.SZ: Viele
der Bücher von Max Kruse sind nicht zuletzt durch die Bearbeitungen
der Augsburger Puppenkiste berühmt geworden. Wäre der
Pumuckl auch als Marionette denkbar, Frau Kaut? Kaut: Ich weiß
nicht. Der Pumuckl war zunächst einmal eine reine Hörspiel-Figur.
Elf Jahre lang lief er im Radio. Es geht ja um das Sichtbar- und
das Unsichtbarsein. Das lässt sich im Radio am besten darstellen. SZ:
Hätte auch das Urmel von Hans Clarin im Radio gesprochen funktioniert,
Herr Kruse? Kruse: Das ist alles eine Frage des Zufalls und des
Glücks. Sicher ist, dass das Urmel einer der erfolgreichsten
Stars der Augsburger Puppenkiste geworden ist. Das freut mich natürlich. Kaut:
Ich habe auch einmal etwas für die Puppenkiste geschrieben.
"Schlupp vom grünen Stern". Das war überhaupt
nicht erfolgreich. Hans Clarins Stimme war für Pumuckl unglaublich
wichtig. Es gibt ja auch Fassungen mit anderen Sprechern. Auch Kölsch
etwa, und auf Schwyzerdütsch. Durchgesetzt aber hat sich Clarin
und das Bayerische.
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Kruse: Es gibt viele. Wenn ich mir manchmal die Verlagslisten
mit den Neuerscheinungen durchlese, frage ich mich oft: Was soll
man denn noch machen? In jeder Ecke sitzt jemand und schreibt etwas.
Die Kinderliteratur ist heute gar nicht schlecht, viel besser als
in meiner Kindheit. Sie ist offener, bespricht auch unbequeme Themen.
Was hie und da fehlt, ist vielleicht eine starke, eine tragende
Figur. So etwas wie "Puh der Bär", "Peterchens
Mondfahrt", "Dr. Doolittle" oder wie die Figuren
bei Erich Kästner. Die Verlage brauchen einen langen Atem,
damit sie Talente entdecken und fördern, Der fehlt heutzutage
manchmal. SZ: Frau Kaut, haben Sie "Harry Potter" gelesen? Kaut:
Nein. Ich muss ehrlich sagen, dass ich da nicht mehr auf dem neuesten
Stand bin. SZ: Stimmt es, dass Sie noch fast 30 Pumuckl-Geschichten
in der Schublade haben? Ist das nicht unverantwortlich? Kaut:
Ja, die liegen da. Rundfunkskripte, die als Vorlage für Drehbücher
dienen sollten. Derzeit gibt es wohl kein Geld dafür. SZ:
Haben Sie schon mal Pumuckl-TV gesehen? Hat das noch etwas mit Ihrer
Figur zu tun? Kaut: So etwas schaue ich mir gar nicht an. Ich
vermeide es, mich zu ärgern. Ich schlafe gerne ruhig. Wenn
ich wüsste, was da läuft, würde ich wieder das Kämpfen
beginnen. Aber ich möchte meinen Frieden haben. Kruse: Trotzdem
muss man wahnsinnig aufpassen, damit nicht jeder macht, was er will.
Und über die Jahre hinweg ist ein regelrechter Rechte-Wirrwarr
entstanden. Ständig gibt es neue Medien. DVD, CD-Rom, Computerspiele.
Da verliert man schnell den Überblick. Die Figur entwickelt
ein Eigenleben. Kaut: Plötzlich entdecke ich irgendwo ein
Lokal mit zweifelhaftem Ruf und das heißt: "Pumuckl-Bar".
Da denkt man schon darüber nach, ob man nicht seinen Rechtsanwalt
beauftragen sollte.
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SZ: Wenn sich heute ein 20-Jähriger entschließt, Kinderbuchautor
zu werden, wie sehen seine Chancen aus? Kruse: Die jungen Leute
haben einige Möglichkeiten. Sie sind viel unbekümmerter
im Umgang mit Medien und die Verlage haben Hunger nach neuen Talenten. Kaut:
Allein: Lektoren sind Mangelware. E-Mails bleiben unbeantwortet.
Und nach einem Jahr sind die Stars wieder vergessen. SZ: Nach
Ansicht der Buchhändler heißen derzeit die b esten Kinderbuchautoren:
Jenny Nimmo, Kai Mayer und Eoin Colfer. Schon mal gehört? Kruse:
Nein, noch nie. Sicher ist: Die Verlage stöhnen, aber es geht
ihnen wohl ganz gut. Klagen ist in der Branche so etwas wie eine
Muttersprache. SZ: Dabei dürften viele junge Verlagsleiter
mit Ihren optimistischen Büchern aufgewachsen sein. Kruse:
Mit Büchern allein können Sie den Menschen nicht erziehen. SZ:
Nicht? Kruse: Wenn ich viel Karl May gelesen habe, bin ich noch
lange kein Indianer. Es macht mich traurig, wenn ich lese, dass
in den USA ein hoher Prozentsatz weiterhin meint, dass sich die
Erde um die Sonne dreht. Die Dummheit der Menschen ist es, die überall
die meisten Probleme verursacht. Kaut: Außerdem muss man
sich darüber im Klaren sein, dass es Wellenbewegungen sind,
die das Leben der Menschen beeinflussen. Mal darf nicht über
Sex geredet werden, dann reden alle nur noch über Sex. Kruse:
Komisch, nicht? Lesen jedenfalls ist und bleibt ein existenzielles
Bedürfnis. Gedanken aufnehmen und im Kopf weiterspinnen - das
wird es immer geben. Aber Literatur kreiert keine neuen Menschen.
Der Erfolg der Bibel oder von Karl Marx erklärt sich nur dadurch,
dass etwas formuliert wurde, was in den Menschen ohnehin latent
vorhanden war. SZ: Als Kind haben Sie notgedrungen viel
gelesen, Herr Kruse. Kruse: Ich hatte Drüsenfieber und Rachitis.
Auf Bitten meiner Mutter, die ja die bekannte Puppenschöpferin
Käthe Kruse war, wurde ich sogar vom Ministerpräsidenten
persönlich ein Vierteljahr von der Schule beurlaubt. Da hatte
ich tatsächlich viel Zeit zum Lesen.
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SZ: Herr Kruse, stimmt es, dass es der Kauf einer Kühltruhe
war, der Sie auf die Idee mit dem tiefgefrorenen Saurier gebracht
hat? Kruse: Das stimmt. Damals führte ich allein den Haushalt
für mich und meinen Sohn. Mich faszinierte die Idee, nie wieder
Konservenbüchsen öffnen zu müssen. Also kaufte ich
eine der ersten Tiefkühltruhen. Als ich eine Forelle aus der
Truhe holte, dachte ich: Wie wäre es, wenn ein tiefgefrorenes
Ei aus der Urzeit nach Millionen von Jahren wiedergefunden würde? SZ:
Die Idee hatte später auch Steven Spielberg. Kruse: Bald
könnte sie ganz real möglich werden. Kaut: Eine faszinierende
Idee. SZ: Ähnlich faszinierend, wie der anarchische Kobold
in einer Schreinerwerkstatt. Was ist aus Herrn Nagler geworden,
dem Vorbild für den Meiste Eder? Kaut: Das Regal, das er
mir einmal geschreinert hat, das habe ich immer noch. Er war ein
kauziger Münchner Hinterhofschreiner. Vor seiner Werkstatt
stand ein Kastanienbaum, im ersten Stock wohnte er. Ich kann mich
gar nicht erinnern, wie ich an ihn gekommen bin. Den großen
Erfolg der Figur hat er leider nicht mehr erlebt. Zumindest hat
er noch mitbekommen, dass es eine Reihe im Hörfunk gab, für
die er sozusagen Modell gestanden hat. Da hatte er nichts dagegen. SZ:
Pumuckl wurde zu einem bayerischen Exportartikel. Kaut: Früher
hörte ich oft: "DerPumuckl funktioniert nur in Bayern."
Aber wenn der Cowboy weltweit funktioniert, muss doch auch ein bayerischer
Schreiner weltweit funktionieren. Tut er ja auch. Ich weiß
nicht genau, in wie viele Sprachen er übersetzt wurde, aber
auch Estnisch ist neuerdings dabei. Nur die Amerikaner verschließen
sich. Kruse: Das Problem kenne ich. Mene Bücher wurden bisher
in 18 Sprachen übersetzt. Das Urmel gibt es auf Japanisch,
Koreanisch, Chinesisch. Nur die Amerikaner wollen nicht. SZ:
Wie lange werden Ihre Figuren leben? Kruse: Hoffentlich ein bisschen
noch. Die Leute, die mit unseren Werken aufgewachsen sind, haben
mitlerweile selber Kinder. Da kann es passieren, dass das Urmel
oder der Pumuckl in die nächste Generation getragen werden.
Immer wieder, wenn ich am Telefon meinen Namen sage, heißt
es am anderen Ende: "Sind Sie es wirklich?" Jüngst
suchte ich einen uralten Artikel aus dem Geo-Magazin. Sofort
meldete sich der Chefredakteur und erzählte mir alles mögliche
über meine Bücher. Das ist schön. Kaut: Wenn die
Leute den Namen Pumuckl hören, fangen sie sofort an zu lachen.
Das Gesicht wird freundlich, der Mensch öffnet sich. SZ:
Aber man hat Sie doch auch mal als Pumuckl-Mörderin beschimpft,
Frau Kaut. Kaut: Das war nach der letzen Radio-Folge. Der Pumuckl
verabschiedete sich für immer auf einem Dampfer von Meister
Eder. Das Telefon stand nicht mehr still. Auch beim BR klingelte
es ununterbrochen. Die Menschen beschimpften mich. Aber ich hatte
keine Lust mehr. Meine Geschichten waren erzählt. SZ: Pumuckl
und Urmel sind einsame Vertreter ihrer jeweiligen Gattung. Wer sind
unter den Kinderbuchautoren die neuen Kruses, wer die neuen Kauts?
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SZ: Wie waren Sie als Kind, Frau Kaut? Kaut: Lebhaft. Kruse:
Das kann ich mir gut vorstellen. Kaut: Offenbar habe ich sehr
viel geredet, denn wenn mein Vater ins Hofbräuhaus ging und
in Ruhe eine Maß Bier trinken wollte, nahm er mich zwar mit,
vergaß aber auch nie die Schere und die Ausschneidebögen.
Damit ich nur ja Ruhe gab. Am Sonntag gingen wir in die Liebfrauenkirche.
Man hatte uns beigebracht, dass man Opferung, Wandlung und Kommunion
besucht haben muss, um seine Sonntagspflicht erfüllt zu haben.
Weil im Dom damals immer mehrere Feiern gleichzeitig stattfanden,
konnte man wandernd die Messe in zehn Minuten hinter sich bringen.
Dann haben mein Vater und ich Weißwürste gegessen. Ich
habe mich sehr gut mit ihm verstanden. Die Figur des Meister Eder
hat viel von ihm. Kruse: Ich bin ein eher introvertierter Mensch.
Sage in Gesellschaft kaum etwas. Auch aus Höflichkeit. Die
Leute quatschen ja dauernd. Da kann ich sie doch nicht unterbrechen. SZ:
Spiegelt sich in Ihrem Werk auch Autobiographisches, Herr Kruse? Kruse:
Vielleicht das Urmel mit seinem abgeschlossenen Großfamilienleben
auf einer Insel. Ja, das könnte aus meiner Kindheit stammen.
Jedenfalls bin ich ein Mensch, der wniger bewertet als beobachtet.
Jemand, der mit einer eindeutigen Sprache klare Geschichten erzählen
möchte. Kaut: Auch meine Sprache war immer schlicht. Früher
habe ich schon auch mal Konzertkritiken für die Zeitung verfasst.
Aber ich habe nie so viele Fremdwörter gebraucht wie Joachim
Kaiser oder andere berühmte Kritiker. Am wichtigsten war mir
immer: Ich möchte verstanden werden. Und dabei ist es auch
egal, ob man "dass" mit "ss" oder "ß"
schreibt. Beim Pumuckl ging es uns auch um einen pädagogischen
Ansatz. Mit ihm sollte den Kindern unterhaltsam gezeigt werden,
was gut ist. Und was schlecht. Nun, vielleicht hat es ja in Einzelfällen
doch was gebracht. Kruse: Ich bedaure, dass ich eigentlich erst
jetzt begreife, was Schreiben ist. Das Leben ist viel zu kurz. Erst
am Ende weiß man, wie wertvoll es ist. SZ: Was ist schreiben,
Herr Kruse? Kruse: Gefrorenes Denken. Das Denken festzuhalten
und es in Ruhe zu betrachten. Und ein Bedürfnis nach Kreativität.
Die Lust, etwas Bleibendes zu schaffen. Kaut: Wenn ich modelliere
oder male, dann habe ich etwas Greifbares in der Hand, nicht nur
ein beschriebenes Stück Papier. Das greifbare Resultat macht
mich eigentlich glücklicher. SZ: Ihre Figuren werden sicher
nach Ihrem Tod weiterleben. Gibt es etwas, das Sie sich für
diese Zeit wünschen? Kruse: Ich wünsche mir, dass sich
die Menschen von ihren Ideologien befreien und gelassener werden. Kaut:
Ich freue mich auf den Moment, wenn ich Ruhe habe. Sorgen sind sinnlos.
Irgendwann geht alles zu Ende. Kruse: Dass alles zu Ende ist
und nie wieder kommen soll, da beißt man schon dran. Vielleicht
aber ist es die beste aller Möglichkeiten.
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