Der Untergang der Titanic Hörspiel
von Ursula Völkel
Es gibt Katastrophen, die sich
tief in das Gedächtnis der Menschheit eingegraben haben.
Die angeblich unsinkbare Titanic, die auf ihrer Jungfernfahrt
1912 mit einem Eisberg kollidierte und in weniger als
drei Stunden sank, gehört zu diesen Schicksalsschlägen,
die zum Symbol für die Hybris des modernen Menschens
gegenüber der Schicksalsmacht des Lebens geworden
sind. Das Scheitern der Technik an der Urgewalt der
Natur manifestiert sich in dem Bild der sich vor ihrem
Sinken steil aufrichtenden Titanic, welches selbst nach über 90 Jahren
eine grausige Faszination
auszuüben vermag. Am 10. April 1912 lief die Titanic,
mit 46329 BRT das größte Schiff seiner Zeit
(Länge 269m, Breite 28m, 51000 PS Maschinenleistung,
Höchstgeschwindigkeit 22,3 kn) und der ganze Stolz
der White Star Line, zu ihrer Jungfernfahrt aus. An
dieser Stelle setzt auch das Hörspiel von Ursula
Vögel ein. Der Einstieg in die Geschichte erfolgt
klassisch durch einen Erztählerkommentar zur Bedeutung
dieses Tages für die Linienschiffahrt zwischen
dem Ärmelkanal und New York: Die Titanic ist angetreten,
die Wettfahrt um das "Blaue Band" gegen die
Konkurrenz von der Cunard Line als schnellstes Linienschiff
zu gewinnen - um jeden Preis! Dieses technische Fortschrittswunder
wird natürlich von entsprechenden Luxus und Pomp
begleitet, was vom Erzähler durch den Hinweis auf
die unzähligen Passagiere dritter Klasse, für
die die Fahrt mit der Titanic kein gesellschaftlicher
Event, sondern die Hoffnung auf eine bessere Zunkunft
in Amerika bedeutete, thematisiert wird. Die angedeutete gesellschaftskritische
Ebene wird jedoch rasch verlassen (und findet auch im
weiteren Verlauf des Hörspiels kaum mehr Beachtung),
um die technischen Besonderheiten und den Luxus der
Titanic zu beschreiben. In Unterhaltungen schaulustiger
Kinder und Erwachsener werden vor allem technische Details
heruntergebetet. Dieser Einstiegsdialog wirkt steif
und gekünstelt, gerade weil ein altklug referierendes
Mädchen ihren Vater, der auf der Titanic mitfährt,
als Quelle für ihr Fachwissen angibt. Anschließend
wechselt der Schauplatz auf die Kommandobrücke
des auslaufenden Schiffs, auf der sich der unsympathische
und ruhmsüchtige Präsident der White Star
Line mit Kapitän Smith über die Chancen,
die Wettfahrt mit der Mauretania gewinnen zu können, unterhält. Mit
dem Auftritt von Jansen, der sich gegenüber
dem Kapitän kritisch über die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen
auf der Titanic äußert, wird der Kreis der
Hauptcharaktere geschlossen. Die Exposition des Hörspiels
bestimmt vor allem über die klaren Zeichnung der
Hauptfiguren die Grundproblematik des Titanic-Schicksals
als Resultat falscher Technikgläubigkeit, Ruhmessucht
und hybrider Risikofreudigkeit - die kritischen Bedenken
Jansens verhallen ungehört. Diese Problematik wird
im weiteren Verlauf am Beispiel der überhöhten
Geschwindigkeit, die auf Anordnung des Präsidenten
gefahren wird (der sogar eine Überlastung der Maschinen
für das "Blaue Band" in Kauf zu nehmen
bereit ist), weitergeführt - leider auch die genauen
Angaben von Bruttoregistertonnen, Lebensmittelmengen
und Geschwindigkeitsangaben! Bisher spielt sich
das Hörspiel hauptsächlich auf der Brücke
ab, im Hintergrund pfeifft ein bedrohlicher Wind, beinahe
so, als ob das Schiff in der Antarktis treiben würde.
Dies soll wohl die Gefährlichkeit der ersten Pack-Eiswarnungen
unterstreichen, doch enttäuschenderweise werden in diesem Hörspiel
die akkustischen Effekte recht spärlich und plump
eingesetzt und verfehlen so meist ihre spannungssteigernde
Wirkung. Insgesamt ist das Hörspiel eher nüchtern
und sachlich angelegt. Ohne Effektehascherei wird geradlinig
der Spannungsbogen anhand des Konflikts zwischen der
Unvernunft des Kapitäns, der - im Bannkreis des
Präsidenten - trotz der Warnungen die schnelle Fahrt
beibehält, und zwischen dem sich wegen der drohenden Gefahr
und der mangelnden Rettungsbote sorgenden Jansen, aufgebaut. Diese
Schwarz-Weiß-Zeichnung skrupelloser Profit-
und Ruhmgier (verkörpert durch den Präsidenten
der Schiffahrtsgesellschaft) auf der einen und reflektiertendem, aber
machtlosem Mahner (Jansen) auf der anderen Seite wird lediglich durch den
Kapitän aufgebrochen. Gerade er ist es, der in
seiner Unentschlossenheit den interessantesten Charakter
des Hörspiels darstellt. Nachdem die erste
Seite der MC mit eindeutigen Eisbergwarnungen endet, wird
der Kapitän unruhig und will die Fahrt drosseln
lassen, was der Präsident jedoch verhindert. Obwohl
die alleinige Befehlsgewalt über das Schiff bei
Smith liegt, und dies vom Präsidenten auch nicht
in Frage gestellt wird, ordnet sich der Kapitän
dem Chef der Schiffahrtsgesellschaft unter. Der
letzte Abend vor der Ankunft in New York am 15. April
bricht an. Das Luxusschiff bereitet sich auf eine rauschende
Abschiedsparty vor. Gleichzeitig wird die Situation
immer bedrohlicher. Mehr und mehr Warnungen anderer
Schiffe über Eisberge treffen auf der Titanic ein,
doch der Kapitän bleibt nun unbeirrt bei seinem
Entschluß, die Wettfahrt um das "Blaue Band" zu
gewinnen. Barsch kanzelt er Jansens Bedenken mit der
Bemerkung, "wegen so einer Lapalie" könne
man sich schließlich keine zweieinhalb Stunden
Verspätung leisten, ab. Trotz der unübersehbaren
Gefahr überläßt der Kapitän seinem ersten
Offizier Murdock das Kommando auf der Brücke, um
dem festlichen Abschiedsabend beiwohnen zu können.
Wie der Erzähler feststellt, verbreiten sich
unter der Mannschaft Gerüchte
über die Gefahr.
Ursula Vögel benutzt hierbei die Figur des Jansen, um einen lexikonartigen
Vortrag über Eisberge und die Gefahr der Labradordrift
verkünden zu lassen, was sehr gekünstelt wirkt.
Während der Kapitän mit seinen Passagieren
feiert, nimmt die Tragödie unweigerlich ihren Lauf.
Der Stellvertreter Smiths, Murdock, weist die sich häufenden
Warnungen der anderen Schiffe als Intrigen der um das
"Blaue Band" konkurrierenden Cunert Line zurück. Plötzlich
taucht ein Eisberg aus dem Dunkel auf; der erste Offizier
trifft in selbstgefälliger Überschätzung
seiner Fähigkeiten die falsche Entscheidung, Backbord
beizudrehen, was zu der folgenschweren Kollision führt.
Der Kapitän erscheint wieder auf der Brücke
und übernimmt das Kommando, doch eine Rettung des
schwer beschädigten Schiffes scheint aussichtslos.
Unpassend ist in dieser Notsituation das disziplinierte
Heldentum, das der Kapitän an den Tag legt, und
mit dem er die Schuld an dem Unglück allein auf
seinen ersten Offizier Murdock abwälzt, obwohl
er selbst doch durch die rücksichtslose Beibehaltung
der Geschwindigkeit seine Pflicht verletzt hat. Im Gegensatz
zu den anderen Hauptfiguren des Hörspiels ist der
Kapitän aber der einzige Charakter, der nicht
nur einen klar umrissenen Typus von Gut oder Böse,
moralisch oder egoistisch zu verkörpern hat. Smith
weist als einziger Brüche in seiner Identiät
auf, aber dieser Ansatz wird in keinster Weise problematisiert
oder weitergeführt - dies kann jedoch von einem
Kinderhörspiel auch nicht erwartet werden. Der
Kapitän befiehlt eine Evakuierung des Luxusliners
in die Rettungsboote, jedoch unter Vermeidung einer
Paniksituation - die Passagiere sollen nicht sofort
über den tödlichen Ernst der Lage informiert
werden. Die wenigen Sprecher, die die empörten
und verwunderten Passagiere darstellen, reichen allerdings
an dieser Stelle nicht aus, die Tragweite der Situation
adäquat "hörbar" zu machen. Diese
Szene entbehrt jeglicher Spannung und Dramatik,
was leider der Gesamtkonzeption des Hörspiels entspricht.
Ein längerer Erzählerkommentar faßt die
Tragik der Titanic zusammen, die noch nicht einmal rote
SOS-Raketen an Bord hatte, weshalb zu spät Hilfe
an den Unglücksort kam. Der Schluß des Hörspiels
knüpft konsequent an die Grundthematik der Exposition
an: Der Präsident, der mit seinem rigorosen Leichtsinn
die Tragödie mitverursacht hat, wurde zwar gerettet,
mußte sich aber vor einem Gericht für sein
Verhalten verantworten! Schade ist nur, daß in
diesem Zusammenhang nicht noch einmal auf die ungeheure
Zahl von Opfer verwiesen wurde, die der hybride Leichtsinn
einer blinden Technikgläubigkeit gefordert hatte.
Von den 1308 Passagieren und 898 Mann Besatzung konnten
lediglich 703 gerettet werden. Trotz einiger Schwächen
ein gelungenes Hörspiel, das in konsequent
unaufgeregter Art nüchtern und sachlich einen klaren
Aufbau des Plots zeigt. Als Sammlerstück
unbedingt zu empfehlen!
Literatur zum Schicksal der Titanic: Eaton, J.P.:
Titanic, Triumph und Tragödie. Beiträge von
J. P. Eaton und C. A. Haas, München 1997.
Michael
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